Von Diskriminierung zu antimuslimischem Rassismus

Im Zuge der Fokussierung auf die den Materialien zugrundeliegende Arbeitsdefinition des antimuslimischen Rassismus wird zuerst eine begriffliche Klärung der (rassistischen) Diskriminierung vorgenommen, um darauf aufbauend eine Definition von antimuslimischen Rassismus zu entwickeln. Insbesondere ist hierzu eine Ausdifferenzierung der Begrifflichkeiten Islamophobie, Islamfeindlichkeit und Muslimfeindschaft erforderlich.

Diskriminierung

Alltagssprachlich wird unter dem Begriff Diskriminierung ein abwertendes Verhalten/Sprechen oder eine Handlung, die auf negativen Emotionen und Stereotypen basiert, verstanden. Aus soziologischer Perspektive hingegen handelt es sich bei Diskriminierung nicht um eine isolierte individuelle Handlung, sondern um ein komplexes Zusammenspiel aus sozialen Verhältnissen und Beziehungen, die in ihrer Konsequenz negative Folgen für soziale Gruppen haben. Hierbei muss neben der Einbettung von Diskriminierung in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ebenso die Manifestation der direkten und indirekten Diskriminierungen im historischen und gegenwärtigen Kontext Beachtung finden, da die institutionelle und strukturelle Wirkmächtigkeit von unterschiedlichen Diskriminierungskategorien nur so in ihren Strukturen und Prozessen analysiert werden kann. (vgl. Scherr 2017, S. 40f.)

Die diskriminierenden Kategorisierungen zielen in ihrer Unterscheidung einerseits auf bestimmte Gruppenkategorien (z. B. „Jüd*innen“, „Muslim*innen“) ab. Abstrakte Gruppen (Simmel 1908, S.355), die so nicht real existieren und deren Mitglieder sich untereinander nicht kennen, aber aufgrund von gesellschaftlich wirkungsmächtigen Gruppenkonstruktionen bestehen, wird ein oder mehrere identitätsprägende/s Unterscheidungsmerkmal/e zugeschrieben, um dadurch eine scharfe Trennlinie zur Dominanzgesellschaft zu ziehen. Andererseits können Personenkategorien (z. B. „Frauen“, „Kriminelle“) ebenso wirkmächtige Unterdrückungsmechanismen auslösen (vgl. Scherr 2016). Das Ziel dieser Kategorien liegt in der Genese und begründeten Verwirklichung von Abgrenzungen und hierarchischen Strukturen, die in Form von Machtasymmetrien sichtbar werden, und sich direkt auf die Lebenschancen und Lebensbedingungen der Diskriminierten auswirken (vgl. Scherr 2017, S. 42).

Durch die Differenzkonstruktion in Personen- oder Gruppenkategorien werden Personen nicht mehr als selbstbestimmungsfähige Individuen betrachtet, sondern nur noch als Teil dieser Gruppe wahrgenommen und somit als inkompatibel und „anders“ verglichen mit der unterstellten Norm, der Mehrheitsbevölkerung angesehen. Durch die Konstruktion einer Eigengruppe unter der gleichzeitigen negativen Abgrenzung und Konstruktion einer in sich homogenen Gruppe beispielsweise in den Kategorien Nationen, Geschlechter, Religionen usw. entstehen scheinbar unterschiedliche Kollektive mit zugeschriebenen gemeinsamen Werten, Normen und Erfahrungen. (vgl. Scherr 2017, S. 43f.) Dies bedeutet allerdings nicht, dass Diskriminierungen immer nur in einzelnen Kategorien auftreten. Im Rahmen rassistischer Diskriminierung kann es ebenso zu sexistischen Diskriminierungsformen kommen und umgekehrt. Oftmals greifen multiple Diskriminierungsformen ineinander (Intersektionalität), was im Folgenden bei der begrifflichen Betrachtung des antimuslimischen Rassismus deutlich wird.

Definition antimuslimischer Rassismus

Als Arbeitsdefinition für die im Rahmen des Projekts erstellen Materialien wurde bewusst der Begriff antimuslimischer Rassismus gewählt, da dieser das betreffende Phänomen dort verortet, wo es anzusiedeln ist: Im Bereich rassistischer Logik und rassistischer Strukturen, die es gilt, wissenschaftlich zu erforschen, zu analysieren, zu dekonstruieren und diesen Umgang in die praktische Umsetzung zu integrieren. Hierzu muss ergänzend festgehalten werden, dass das Konzept der „Menschenrassen“ wissenschaftlich überholt ist und es daher keinen legitimierbaren Grund gibt, den Begriff „Rasse“ weiterhin zu verwenden (vgl. UNESCO-Workshop 1995). Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Negation des Begriffs „Rassismus“. Da im Rahmen der Diskriminierungskategorien weiterhin mit rassistischen Konstrukten agiert wird, muss dieses als solches auch benannt werden (vgl. Koller 2015).

Antimuslimischer Rassismus nach Iman Attia meint, dass „Muslime und Menschen, die als Muslime markiert werden, […] als homogene, essentialistische, dichotome Gruppe konstruiert [werden], die im Verhältnis zur ebenfalls konstruierten Eigengruppe als weniger zivilisiert, weniger emanzipiert, weniger frei und weniger fortschrittlich konstruiert wird“ (IslamiQ 2014). Weiter führt Attia aus, dass „[…] insbesondere […] soziale Vorwürfe und kulturelle Grenzziehungen getätigt [werden]. Die Markierung als Muslime dethematisiert soziale, gesellschaftliche und politische Probleme, wie z. B. die Migrationspolitik, fehlende Sprachkurse, Kettenduldungen, Perspektivlosigkeit, Arbeitsverbote oder institutionelle Diskriminierungen, in dem sie argumentativ mit der fremden Religion und Kultur in einen Zusammenhang gebracht werden.“ (ebd.) Neben dem Konstruktionscharakter wird hier auch die Funktionsweise von (antimuslimischem) Rassismus deutlich benannt. Wie auch bei Kuhn beschrieben, spiegeln sich im antimuslimischen Rassismus die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und die (gewährten) Zugangsmöglichkeiten und –chancen (vgl. Kuhn 2015, S. 22f).

Die in Attias Definition angeführten Beispiele werden in der antimuslimisch-rassistischen Praxis bei einer Analyse der Diskurse zu den Themenfeldern Geschlechtergerechtigkeit, Gewalt, Modernität und Demokratie und Antisemitismus deutlich. Darauf basierend, entsteht ein stereotypbehaftetes Bild von Muslim*innen, das diesen Sexismus, Homophobie, Terrorismusaffinität, Rückständigkeit, Antisemitismus etc. zuschreibt. Diese thematischen Schwerpunkte wurden auch von Menschen mit Diskriminierungserfahrung in den geführten Einzelinterviews und Gruppendiskussionen aufgegriffen und belegen deren Relevanz für die entwickelten Materialien. Exemplarisch für die oftmals getätigten Anschuldigungen gegenüber Muslim*innen oder Menschen, die als solche kategorisiert werden, steht der Generalverdacht des Terrorismus, der insbesondere jungen Männern angelastet wird. Extreme Gewalttaten innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft werden meist mit der psychischen Verfasstheit der Täter*innen entschuldigt, wobei dieser Punkt bei (scheinbar) muslimischen Gewalttäter*innen keine Rolle spielt. Muslimische Frauen hingegen sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie durch ihrer Mutterrolle zur „stillen Islamisierung“ der deutschen Gesellschaft beitragen (vgl. Shooman 2014, S. 45f.).

Neben einer Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen und Erscheinungsformen von antimuslimischem Rassismus gilt: Im Gegensatz „zu einem solchen sozial konstruierten, aber real wirksamen und weit verbreiteten Islambild entsteht, wie von selbst, die Gegenimagination einer demokratischen, modernen, liberalen deutschen bzw. christlich-westlichen Gesellschaft, in welcher Männer und Frauen in Gleichberechtigung leben“ (Scharathow 2011, S. 14). Dies wiederum zeigt den projektiven Charakter des antimuslimischen Rassismus, der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten auf ähnliche Art und Weise innewohnt (Özdoğan et al. 2016 S. 10). Demzufolge führen Othering-Prozesse, d.h. eine gezielte Kategorisierung einer Person oder Gruppe als anders oder nicht-zugehörig, durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft gegen Menschen mit Rassismuserfahrung zu einer manifesten Abgrenzung und legen so mitunter die Grundlage für die Aufwertungen der (scheinbar) eigenen Gruppe durch die Abwertung der (scheinbar) anderen Gruppe.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die angeführten Stereotype keine temporären Erscheinungen des antimuslimischen Rassismus sind, sondern sich in dessen Entwicklung von der christlichen Muslimfeindschaft bis in den antimuslimischen Rassismus der Gegenwart immer wieder in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen feststellen lassen. Folglich weist auch der antimuslimische Rassismus eine historische Kontinuität auf und lässt durchaus z. B. Gemeinsamkeiten zum Antisemitismus und dessen Stereotypen erkennen.

Begriffliche Abgrenzung zur Islamophobie, Islamfeindlichkeit und Muslimfeindlichkeit

Der Begriff Islamophobie überträgt das klinisch geprägte Bild einer Phobie auf die Betrachtung der Thematik und etabliert dabei eine reduktionistische Perspektive, die nicht auf die Herrschafts- und Machtstrukturen eingeht, deren Wirkmacht tendenziell negiert und sich daher rein auf das Individuum beschränkt. Darüber hinaus zielt der Begriff auf eine Psychologisierung und Pathologisierung der Thematik ab (vgl. Frank-Rieser et al. 2010, S. 110).

Im Vergleich zur Islamfeindlichkeit, die die Religion in das Zentrum der Diskriminierung rückt, hat der Terminus der Muslimfeindlichkeit den Vorteil, dass er darauf verweist, dass gezielt als muslimisch adressierte Menschen Opfer von Ablehnung, Verachtung und Hass sind. Muslimfeindschaft bezeichnet also die pauschale Stigmatisierung und feindselige Verdächtigung von Menschen aufgrund einer faktischen oder zugeschriebenen Religionszugehörigkeit oder eines praktizierten oder unterstellten Glaubens, die sich als eine angstbesetzte Abwehrhaltung und nicht selten in offener Gewalt äußern – in Worten und Taten (vgl. Follert/Özdoğan 2012, S. 186). Allerdings dethematisiert der Terminus der Muslimfeindschaft die rassistisch strukturellen Bedingungen und institutionellen Verhältnisse, sodass ein zentrales Element im Vergleich zur Begrifflichkeit ‚antimuslimischen Rassismus‘ fehlt.

Literatur:

Follert, Guido; Özdoğan, Mihri: Muslimenfeindschaft. Notizen zu einer neuen ideologischen Formation. In: Brunner, Markus; Lohl, Jan; Pohl, Rolf; Schwietring, Marc; Winter, Sebastian (Hrsg.): Politische Psychologie heute? Themen, Theorien und Perspektiven der psychoanalytischen Sozialforschung. Gießen 2012. S.183-222.

Frank-Rieser, Edith; Siegrist, Hannes; Vogel, Jakob: Islamophobie – Reale und irreale Angstkonstruktionen als private bzw. nationale Mythenbildungen. Erklärungsansätze aus psychodynamischer Sicht. In: Hafez, Farid (Hrsg.): Jahrbuch für Islamophobieforschung 2010. Deutschland – Österreich – Schweiz. Bozen – Innsbruck – Wien 2010. S.109-117.

IslamiQ (2014): Antimuslimischer Rassismus: Sie werden als Fremde behandelt. Interview mit Iman Attia. Auf: http://www.islamiq.de/2014/06/22/antimuslimischer-rassismus-sie-werden-als-fremde-behandelt/ (Stand: 10.8.2018).

Koller, Christian (2015): Was ist eigentlich Rassismus? Auf: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/213678/was-ist-eigentlich-rassismus (Stand: 10.8.2018).

Kuhn, Inva: Antimuslimischer Rassismus- Auf Kreuzzug für das Abendland. Köln 2015.

Özdoğan, Mihri; Dannenbeck, Clemens; Moisl; Dominique; Asam, Lisa; Veronika; Knauer (2016b): Modellprojekt „Bildungsbausteine gegen Muslimfeindschaft“ –Rassismuskritische Methoden und Materialien. [unveröffentlicht]. 

Scherr, Albert: Soziologische Diskriminierung. In: Scherr, Albert; El-Mafaalani, Aladin; Yüksel, Gökçen (Hrsg.): Handbuch Diskriminierung. Wiesbaden 2017. S.39-58.

Shooman, Yasemin: Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit im World Wide Web. In: Attia, Iman; Häusler, Alexander; Shooman, Yasemin (Hrsg.): Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand. Münster 2014.

Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 1908.

UNESCO-Workshop (1995): Statement on Race. Auf: https://www.researchgate.net/publication/270282823_UNESCO-Workshop_Statement_on_Race_1995 (Stand:10.8.2018).